Ich möchte eine Beobachtung und eine These teilen, die mir durch Gespräche in der Community, mit Freunden und auf Szene-Events deutlich geworden ist: BDSM findet für viele Menschen auf zwei Ebenen statt.

Die erste Ebene ist das Sichtbare - das, was andere beobachten und nachvollziehen können (z.B. das Spiel auf einer Playparty).

Die zweite Ebene ist die Innenwelt der Beteiligten: Bilder, Fantasien und Filme, die allein im Kopf ablaufen. So kann man auf einer Party seine Partnerin liebevoll fragen, ob die ledernen Handfesseln nicht zu eng sitzen - während das eigene Kopfkino die Partnerin in rostigen Eisenfesseln von der Decke hängt lässt.

Beim BDSM (vielleicht beim Sex allgemein) weiß man nie sicher, ob der andere denselben Film sieht wie man selbst.

Man kann sich aus Hingabe unterwerfen und glauben, der Partner schätzt genau diese Hingabe - während er innerlich einer Fantasie nachgeht, die mit dieser Hingabe so gar nichts zu tun hat.

Für manche funktioniert BDSM nur, weil man nicht in den Kopf des Gegenübers schauen kann. Das ist jedenfalls mein Fazit nach vielen intensiven Gesprächen.

Diese „dunkle Innenwelt“ wirkt vielleicht verstörend. Zur Selbstreflektion neigende Menschen, oder jene die stets wissen wollen: „Was die Welt im Inneren zusammenhält?“ fragen sich, warum es z.B. gewalttätige Fantasien beim Sex gibt?

Menschen, die Gedanken als Leiter verstehen - also als mögliche erste Stufe zu einer Handlung - fragen sich, ob gewalttätige Fantasien potentiell gefährlich sind?

Hier hilft es, zwei Punkte zu trennen: Erstens existieren abseitige Gedanken mehrheitlich ohne Taten. Zweitens begründet sich aus Faszination nicht zwangsläufig eine Handlungsabsicht.

Wäre es anders, so wären die Gefängnisse voll mit Krimi- und Thriller-Autoren, welche sich zuerst reihenweise brutale oder perfide sadistische Protagonisten ausdenken um dann selbst zu diesen Personen zu werden.

Ich möchte ein weiteres Beispiel aus der Tumblr-Welt anführen: Ich stieß vor vielen Jahren bei Tumblr auf von schwermütigen Gedanken, Gedichten und Bildern geprägte Blogs, vermeintlich junger Amerikanerinnen. Die sich gegenseitig reblogten. Zunächst alarmiert, bemerkte ich dann, dass besagte Blogs - zum Teil - seit 4 oder mehr Jahren mit immer neuen Beiträgen über die Sinnlosigkeit des Daseins gepflegt wurden und hunderte von Followern hatten. Die Auseinandersetzung mit Suizid und Tot ist also nicht automatisch ein Vorbote zur Tat. Die Schnittmenge zwischen Fantasie und Handeln ist augenscheinlich kleiner, als man vermuten könnte.

Ähnlich verhält es sich bei Mediennarrativen: Sobald ein Amokfall passiert, wird oft ein Zusammenhang mit Gewaltspielen konstruiert - obwohl Millionen Menschen diese Computerspiele spielen, ohne je eine Straftat zu begehen.

Umgekehrt gibt es Täter, die vorher gedanklich kaum mit Gewalt beschäftigt waren. Manche geben sogar zu Protokoll, dass sie selbst nicht geahnt hätten, dazu fähig zu sein.

Wenn also, der 3fache Familienvater und Sitzpinkler beim BDSM mit seiner Frau in seiner Fantasie die liederliche, Hexenschlampe hochnotpeinlich verhört, während er real mit einem Federkiel über ihre Brüste streicht, so ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit kein krankes Schwein, sondern ein Thriller-Autor, der nur sein erstes Buch noch nicht veröffentlicht hat. :-)