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Zwischen Freiheit und moralischem Korsett
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13.09.2025
13.09.2025
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Zwischen Freiheit und moralischem Korsett

Warum sexuelle Vorlieben nicht politisch korrekt sind!
Heute sind wieder die neuen Schlagzeilen aus dem Charon-Verlag bei mir eingetroffen. Die Ausgabe 214 informiert den Leser u.a. über die PorYes-Awards in Berlin, einem europäischen, feministischen Pornfilmpreis.
Beim Lesen, des Artikels stach mir folgender Satz ins Auge: „Da heißt es genau hinschauen, was auch eine Anleitung zum lustvollen Analysieren der eigenen Blick-Konditionierung ist. Ertappt man sich doch oftmals selbst bei stereotypen Blicken oder Verhaltensweisen.“
Da man in der Regel etwas unerlaubtes, heimliches oder ungehöriges getan haben muss, um „ertappt“ zu werden, lies mich der Satz stutzen.
Mir scheint, dass sich in den letzten Jahren im öffentlichen Diskurs ein neuer Anspruch zu etablieren versucht: sexuelle Offenheit soll nicht nur eine Möglichkeit, sondern fast schon ein moralisches Gebot sein. Wer heute über seine Vorlieben spricht, wird schnell dazu aufgefordert, sie kritisch zu hinterfragen: Sind sie vielleicht zu stereotyp? Reproduzieren sie Klischees (z.B. die sexy Krankenschwester)? Grenzen sie Menschen aufgrund von Körperform, Gender oder Hautfarbe aus?
Auf den ersten Blick klingt dies nach einer Einladung zur Reflexion und nach einem Akt der Toleranz. Doch bei näherem Hinsehen birgt dieses Ansinnen die Gefahr, dass Menschen bevormundet werden – und dass Sexualität nicht mehr als private Präferenz verstanden wird, sondern als gesellschaftlich relevante Positionierung.
Bin ich der Herr im Haus meines Begehrens?
Der Punkt ist, dass sexuelle Orientierung und Vorlieben nur sehr begrenzt vom Einzelnen willentlich veränderbar sind (zumindest legen einige Studien nahe, dass biologische und hormonelle Faktoren eine zentrale Rolle spielen und soziale Einflüsse und kulturelle Prägungen die Ausgestaltung von Vorlieben mitprägen können).
Niemand entscheidet sich bewußt, ob er auf biologische Männer, Frauen oder Beide steht. Genauso wenig kann man einfach bestimmen, ob einen kurvige Körper, schlanke Figuren oder bestimmte Persönlichkeitszüge erregen. Begeisterung und Begehren sind zu großen Teilen unbewusste, zum Teil genetisch verankerte Prozesse.
Echte Authentizität erfordert, die eigenen Affekte ernst zu nehmen.
Der Versuch, mein sexuelles Begehren durch moralische Appelle umzuprogrammieren, gleicht dem Versuch, mir vorzuschreiben, welche Musik ich gefälligst mögen soll. Auch wenn sich mein Musikgeschmack im Laufe der Zeit ändert, ist das - in der Regel - ein Prozeß und keine Ad hoc Entscheidung.
Gefahr des normativen Drucks
Wenn sexuelle Offenheit zur Pflicht wird, verwandelt sich ein emanzipatorisches Ideal in ein Korsett. Statt Freiheit zu erleben, entsteht subtiler Druck: Wer „zu konservativ“ wählt, wer „nicht offen genug“ ist, läuft Gefahr, als intolerant oder rückständig zu gelten. Damit wird eine neue Form von Normierung geschaffen – nur diesmal im Namen der Inklusion. Moralische Leitplanken werden errichtet zur Begrenzung.
Ein Beispiel: Wenn ein Mann sagt, er stehe ausschließlich auf Frauen, wird er mitunter aufgefordert, zu reflektieren, ob das nicht ein Ausdruck von Heteronormativität oder Homophobie sei. Doch wo endet die legitime Reflexion – und wo beginnt die Bevormundung?
Sexualität ist ein zutiefst persönlicher Bereich. In ihr wirken Biografie, Körperchemie, Psychologie und Erfahrung zusammen. Sie funktioniert nur dann erfüllend, wenn sie authentisch gelebt wird. Wer seine Vorlieben „politisch korrekt“ umbiegen soll, läuft Gefahr, Entfremdung zu erleben – ähnlich wie jemand, der ein Lächeln aufsetzt, das er nicht empfindet. Nähe, Lust und Begehren lassen sich nicht verordnen.
Erleben wir einen gesellschaftlichen Zwang zur Offenheit?
Natürlich ist es sinnvoll, Vorurteile zu hinterfragen. Niemand sollte andere Menschen abwerten, weil sie nicht in das persönliche Beuteschema passen. Aber Toleranz bedeutet, die Vielfalt von Orientierungen und Vorlieben zu akzeptieren – nicht, sie gleichschalten zu wollen. Echte Offenheit zeigt sich darin, dass ich den anderen sein lasse, wie er ist, ohne ihn in ein moralisches oder ethisches Regelwerk zu pressen.
In einer Abwandlung beschäftigt uns genau dieses Problem als BDSMer schon seit Jahren im Forum. Regelmässig kommt die Frage auf, ob es unverrückbare Standards geben sollte? Ob es moralisch vertretbar ist: Augenhöhe abzulehnen oder Erniedrigungen nur dann okay sind, wenn sie erkennbar gespielt sind. Das ich zum Beispiel eine schlanke Person in der Session „Fette Sau“ nennen darf, aber das dieselbe Bezeichnung bei einer übergewichtigen Person als „menschenverachtend“ abzulehnen ist.
Für mich sollte das Ziel einer freien Gesellschaft nicht sein, neue Pflichten für Intimität zu formulieren, sondern Räume für Selbstbestimmung zu eröffnen. Wer offen sein möchte, darf dies gerne leben. Wer aber lieber in klar umrissenen Vorlieben zuhause ist, sollte dafür nicht rechtfertigungspflichtig und schon gar nicht moralisch defizitär sein.
Die Würde des Individuums zeigt sich nicht zuletzt darin, auch im Bereich der Sexualität „Nein“ sagen zu dürfen – zu Menschen, zu Körperformen, zu Praktiken, die nicht den eigenen Empfindungen entsprechen.
Sexualität ist - für mich - kein Projekt der moralischen Selbsterziehung, sondern ein intimer Ausdruck von Identität. Anstatt Menschen durch normative Ansprüche in neue Korsetts zu zwingen, sollten wir die Vielfalt ihrer natürlichen Vorlieben respektieren – auch dann, wenn sie nicht dem Ideal der „inklusiven Sexualität“ entsprechen.
Text: M. Zyks
Bild: M. Zyks
Bild: M. Zyks
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